"Sie sind ein Geschwür am Arsch der Republik!"

(ca.1976 ein Militäroberst der NVA zu Rainer Bonar)

Rainer Bonar war ein Provokateur. 1956 als Rainer Lietzke in Berlin-Lichtenberg geboren, geriet er durch seine kritischen Bilder mit politischer Aussagekraft schon früh in Konflikt mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR. Schon zu Schulzeiten wurde er das erste Mal verhaftet, verraten durch eine Schulfreundin, deren Vater in der Partei war. Immer wieder provozierte er durch seine Kunstwerke. Dabei zitierte er auf hintergründige Weise Motive der sozialistischen Kunst. So erinnert sein Gemälde „Grablegung eines Soldaten“ von 1977, welches einen aufgebahrten Soldaten mit dem Antlitz von Wolf Biermann zeigt, an Käthe Kollwitz’ berühmten Holzschnitt „In Memoriam Karl Liebknecht“.

Rainer Bonar begann nach seinem Schulabschluss eine Ausbildung zum Plakatmaler, das Kunststudium wurde ihm verwehrt. Er ergriff die einzige Alternative und begann ein Abendstudium der Malerei an der Kunsthochschule Weißensee, das er für seine Einberufung zur NVA unterbrechen musste. Seine Funktion als Regimentsmaler bei der Armee nutzte er jedoch zum Malen eigener kritischer Werke und geriet dadurch erneut in das Visier der Staatssicherheit. Es folgten die Degradierung und unehrenhafte Entlassung aus der Armee sowie seine zweite Verhaftung.

In Ost-Berlin kannte man ihn als jungen Wilden, der sich mit genialischen Streichen für das ihm angetane Unrecht rächte: So jubelte er der SED ein „sozialistisches Stillleben“ mit Hammer, blutiger Sichel und toter Friedentaube unter, was ihn nur noch weiter in den Fokus der Staatssicherheit rückte. Dies führte 1978 zu dem Entschluss, einen Ausreiseantrag zu stellen, der drei Jahre später genehmigt wurde. Den Antrag begründete er wie folgt: „Es ist mir weder möglich eigene Ausstellungen zu gestalten, noch freiberuflich zu arbeiten, noch Arbeiten zu verkaufen oder Aufträge zu erhalten. Weiterhin sehe ich in den Darstellungsmöglichkeiten des sozialistischen Realismus einen für mich zu engen Rahmen, als dass ich mich künstlerisch entfalten kann. Bilder, die ich gemalt habe, wurden beschlagnahmt, beschimpft und verfälscht....Das sind alles Vorgänge, die man nicht rechtfertigen kann, die aber mein Leben beeinflussten. Ich habe in Bezug auf persönliche und künstlerische Freiheit andere Vorstellungen, als die, die ich in der DDR verwirklichen kann...“. (Zitat aus dem Antrag vom 27. Juni 1978)

In der Wartezeit auf die Ausreise in den Westen entstand die Serie Grafikkalender. Bonar war in der Prenzlauer Berger Künstlerszene unterwegs und nahm an informellen Treffen bei Ekkehard Maaß teil. Beruflich gab es vermehrt Einschränkungen, allerdings konnte Bonar an der Humboldt-Universität sowie beim Kunstdienst der Evangelischen Kirche arbeiten.

Nach seiner Ausreise nach West-Berlin 1981 änderte er seinen Namen von Lietzke zu Bonar, auch um einem Freund bei der Flucht über Ungarn behilflich sein zu können. Gleichermaßen markiert die Namensänderung einen künstlerischen Neuanfang. Er holte in Köln sein Kunststudium als Meisterschüler bei Professor Karl Marx nach. Zudem engagierte sich Bonar bald in der Verbandsarbeit des Berufsverbandes Bildender Künstler in West-Berlin. Seine eigene Aufnahme in den Verband gestaltete sich zunächst schwierig, da er als ehemaliger Ost-Berliner und Kritiker des SED-Regimes von einigen Mitgliedern nicht gerne gesehen war. Mit seinem ästhetischen Konzept und dem Abschied vom sozialistisch diskreditierten Realismus stieß er auf das Missfallen seiner West-Berliner Künstlerkollegen. Sie versuchten zu dieser Zeit – u.a. durch eine monumentale Ausstellung zu Willi Sitte – Brücken in die DDR zu schlagen, den Realismus der Leipziger Schule für sich zu entdecken und systemkritische Übersiedler aus der DDR fernzuhalten. Rainer Bonar erzwang – erst im zweiten Anlauf – seine Aufnahme in den Berufsverband Bildender Künstler und zerstritt sich rasch mit dem „linken“ Berliner Kunstverein, der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst. Auch ein kulturpolitisches Gastspiel in der SPD blieb Episode.

Neben der Verbandsarbeit und seiner Tätigkeit als Referent in der Politischen Bildung beim Gesamtdeutschen Institut war Bonar kontinuierlich künstlerisch tätig. In den Jahren 1981 bis 1996 entstand der Großteil seines knapp 650 Bilder umfassenden Lebenswerks. Er probierte unterschiedliche Techniken, experimentierte mit Farben, Texturen und Arbeitsmitteln. Viele Serien, über die wir einen Gesamtüberblick in diesem Katalog bieten, entstanden in dieser Zeit.

Ein immer wiederkehrendes Motiv ist die mythologische Figur des Ikarus. Bonar verstand die mythologische Figur als ein „Sinnbild des Abhauens, Aussteigens, der Loslösung und Überwindung der Bodenständigkeit, des Aufstrebens zu höherer Erkenntnis

– Rücksturz auf den Boden der Tatsachen inbegriffen: mit „tödlichem Ausgang“, wie er selbst formulierte. Auch die Auslegung des Mythos’ als Sinnbild der deutsch-deutschen Zerrissenheit, die der Liedermacher Wolf Biermann in seiner „Ballade vom Preußischen Ikarus“ formulierte, wurde von Bonar aufgegriffen.

Ikarus ist nicht die einzige antike Sagengestalt, die Bonar faszinierte. Er griff weitere Motive aus der Mythologie auf, die sich von den in DDR-Kunst üblichen Figuren wie Sisyphos und Prometheus unterschieden. Mit den düsteren Wesen Thantaos, Kratos und Bia zeigte Bonar eine von Gewalt, Macht und Tod bestimmte Welt.

Rainer Bonar hat nicht nur gemalt. Er hat auch fotografiert und gefilmt. In seinem fotografischen Werk beschäftigte sich der Künstler vor allem mit Strukturen der Stadt. Dabei stand auch immer wieder die Teilung Berlins und seine sogenannten Randlagen im Mittelpunkt. Die deutsche Hauptstadt mit seiner vielschichtigen Geschichte beschäftigte Bonar auf besondere Weise. So experimentierte er in seinem Film „Berlin Banquett“ von 1987 mit den Mitteln der Video-Kunst und kontrastierte die Spuren des Zweiten Weltkrieges mit Grenz- und Maueraufnahmen sowie den Utopien der modernen Stadt, indem er die Baustelle der IBA-Bauten am Halleschen Tor und das Märkische Viertel zeigte, in dem er selber lebte.

Erst der Niedergang der DDR verschaffte ihm eine gewisse Genugtuung und führte ihn wieder mit alten Freunden der DDR-Avantgarde um Bärbel Bohley zusammen. Gemeinsam mit Robert Rehfeldt wachte er – nunmehr im Vorstand des West-Berliner Berufsverbands – über die Vereinigung mit dem Künstlerverband der DDR, dessen gewendeten Funktionären beide aus persönlicher Erfahrung misstrauten. Ihnen hielt er entgegen: „Ich war nie einer von Euch.“

Der durch Werkverzeichnis erschlossene Nachlass umfasst rund 650 Arbeiten, überwiegend Gemälde, Zeichnungen und Fotografien.

 

Text: Katharina Hochmuth

Der Text bezieht sich auf einen Text von Hannes Schwenger