Der Preußische Ikarus

Auszug aus dem Ausstellungskatalog „Der Traum vom Fliegen“ des Bezirks Tempelhof zur 750. Jahrfeier Berlins 1987

Um 1980 herum haben viele Künstler die DDR verlassen (müssen), unter ihnen auch Rainer Bonar, der seit 1981 in Westberlin lebt. 1984 hat er eine Folge von Bildern mit dem Titel „Der preußische Ikarus“ gemalt. Eines von Ihnen (…) zeigt eine Figur, die an einen Vogel mit ausgebreiteten Flügeln denken lässt, der vor einer Mauer steht und sich im Boden festkrallt. Die Formen sind zeichenhaft reduziert. Die Flügel sehen aus wie gerupft – nur noch ein paar Federn sind übrig geblieben; der Kopf wirkt bedrohlich: eine Mischung aus Dolch und Schraubzwinge.

Bonar greift hier zwar Biermanns Titel auf, gestaltet aber doch etwas Eigenes: nicht er selber als Person wird wichtig, sondern der Adler als Symbol von Preußens „Glanz und Gloria“ mit dem es ähnlich wie mit Ikarus nach einem Höhenflug zu Ende gegangen. Darin liegt zugleich ein Moment der kritischen Auseinandersetzung mit Biermann. Sicher hat die politische Situation des geteilten Deutschland und das daraus resultierende persönliche Schicksal, von Ost nach West gehen zu müssen, bei der Entstehung von Bonars Ikarus-Bildern eine wichtige Rolle gespielt. Aber anders als Biermann, für den Ikarus nur im Zusammenhang mit seiner Ausbürgerung wichtig war, deutet Bonar diesen Mythos nach eigenen Aussagen weiter. Er beschäftigt ihn schon seit mehreren Jahren als „Sinnbild des Abhauens, Aussteigens, der Loslösung und Überwindung der Bodenständigkeit, des Aufstrebens zur höheren Erkenntnis – Rücksturz auf den Boden der Tatsachen inbegriffen: mit tödlichem Ausgang“. Hinzu kommt – in der Siebdruckserie „Berliner Piktogramme“ - jedoch auch ein witziges und spielerisches Element: der Ikarus-Vogel erscheint hier vollends als Zeichen oder auch tragikomischen Hieroglyphe.“

 

Andere Ansichten

Auszug aus dem Ausstellungskatalog „Andere Ansichten“ - Einzelausstellung Universitäts-Klinikum Berlin 1985, Text: Dr. Olav Münzberg

Rainer Bonar, geb. 1956, stammt aus der Deutschen Demokratischen Republik (…). Das hat seine Bilder bestimmt. 1981 wechselt er von Berlin nach Berlin, vom Ostsektor in die Westsektoren, von Ostberlin nach Westberlin, von einer Hauptstadt in eine Sondereinheit, von einer Hälfte einer Stadt in deren andere. Die Spuren dieser Unterschiede und Trennungen gehen in seine Bilder ein. Er wechselt vom realexistierenden Sozialismus in einen real existierenden Kapitalismus, von einer Lebensform in eine andere, von einer Kunsterfahrung in eine andere, von einer Seite der Mauer zu deren anderen. War er in seinen Bildern drüben eher erzählerisch, aber erzählend mit nur für die wahrnehmungsgeschärfte Bevölkerung drügen doppeltem Boden, mit expressionistischen Mitteln operierend, so greift er hier, um seinen Ersterfahrung mit westlicher Kunst Herr und im Westen entstandenen Lebens- und Sehgewohnheiten gerecht und ungerecht zu werden, nach zeichenartiger, stilisierender Darstellung. Er verlässt figurale Darstellung, ohne aber den gegenständlichen Stoff, d.h. auch den doppelten Boden, preiszugeben. So in seiner Serie „Berliner Zeichen“ 1984, in der er mit Mitteln des Design scheinbar inhaltslose, farbig gewinkelte Streifen auf Flächen-graphisch die Realität der Spaltung manifestiert und versteckt. Er entdeckt in den Krümmungen der Mauer und zerstörter Stadtstruktur das gegenwärtige stereotype Berliner Alphabet. Ferner in der Serie „Einblicke“, in der er Übermalungen und Mauerinschriften, Abgrenzung und Verkehrszeichen aufnimmt, diese aber verwischt und umfunktioniert. Die neu erfahrene Dualität, die sich in der dualen Aufteilung der Malfläche niederschlägt, interessiert ihn weniger von unten als von oben aus der Luft, da er sie so schärfer wahrnimmt und symbolisch übersteigt.

In der Serie „Preußischer Ikarus“ 1984/85 wird der preußische Adler, u.a. auf der Weidendammer Brücke zu finden und von Wolf Biermann in einer Ballade aufgenommen, als skelletiertes, seiner Federn, seines Fleisches, überhaupt seines früheren Lebens beraubtes, zerrupftes Symbol präsentiert, zum Geflügel herabgekommen. Die Spannung zwischen Graphischen und Malerischen tritt hervor. Die Realität beider Sphären ist Karikatur. Wirklichkeit ist zum Zeichen reduziert.

Restrealität.

Warum kehr der Maler Rainer Bonar, der auch die Geschichte des Parisurteils und damit das Thema dreier Frauengestalten aufgreift, in seinen Arbeiten an die Mauer zurück? Ich glaube die Antwort zu wissen: Er betrachtet sie von der anderen Seite und von oben, um sie zu überwinden.

 

Presseartikel in der ZEIT

Text: Petra Kipphoff

„Schräge Grenzen

Böse Scherze kann der Staat nicht gut vertragen. Und die Diktatur am allerwenigsten. Denn die Ironie, das Element des sogenannten Subversiven, ist viel gefährlicher als die platte Freund- Feind-Konstellation. Die kulturellen Machthaber des SED-Staates, die sich wohlwollend zur Betrachtung des Bildes „Die Grablegung des Soldaten" von Rainer Bonar eingefunden hatten, waren doppelt düpiert, mussten doppelt zurückschlagen, weil sie die Information, dass der von den Portraits von Lenin und Castro, Rilke, Turgenjew, Claudius und Hermlin umschwebte Tote kein anderer war als Wolf Biermann, zu spät erreichte. Blamiert!

 

Rainer Bonar, der 1981, nach Jahren der Verfolgung und dreimaliger Inhaftierung aus' der DDR abgeschoben wurde, ist einer von 170 Künstlern, deren Arbeiten jetzt in der Ausstellung „Ausgebürgert - Künstler aus der DDR 1949-1989" in der Gemäldegalerie in Dresden zu sehen sind. (…)“

 

"Berliner Straßen und Spree-Müll"

Presseartikel in der Kölner Rundschau vom 20.01.1988

Text: Bruno F. Schneider

Nicht alle Veranstaltungen des Berlin-&-Köln-Programms zeigen ihren Bezug zur zweigeteilten Stadt an der Spree so deutlich wie eine Ausstellung der KAOS-Galerie (Genter Str. 6): Auf den Kartenblättern 1:1000 (Serie Planübermalungen, Anm. WS), wie sie die Stadtplanungsbehörden verwenden, sieht man deutlich Charlottenburg, Wilmersdorf, Halensee usw., und der 1956 in Berlin geborene Rainer Bonar hat die Stadtteile mit unterschiedlichen Farben und in unterschiedlicher Dichte übermalt.

Dies alleine nun wäre allerdings ein alter Hut, haben sich doch schon seit dem Dadaismus Künstler von der Ästhetik der Kartographie anregen lassen. Gewiß werden aus solchen Anregungen bei Bonar ungemein schöne und lebendige, kontrastreiche, aber auch ausgewogenen und manchmal sogar poetische Bilder - das eigentlich Aufregende aber ist, was der Künstler darüber erzählen kann. Das sind seine Recherchen über die Geschichte der Stadtteile, ja einzelner Straßenzüge oder Häuserblocks, über ihre soziale Struktur oder die Bedeutung der Verkehrsanbindungen - dies alles hat Rainer Bonar in den Bildern künstlerisch so verarbeitet, daß man die Bezüge nur noch aus der Ferne erahnen kann.

Ob Mauer, ob Stacheldraht, ob das, was mit dieser Stadt unter dem Zeichen des kaiserlichen, des Reichs- oder des Bundesadlers geschah, ob eine Verkehrsader die Stadt brutal durchschneidet oder ob sie Boulevardqualitäten hat - Bonar deutet dies alles nur an mit seinem abstrahierenden, oft kalligraphischen Duktus. Manches ist auch doppeldeutig, so wie ein Rot, das das Inferno der Bombennäche, aber auch den Rotstift der Behörden beudeuten kann. Manches ist ironisch, wenn man zum Beispiel auf einer Karte von Halensee das von den gehobenen Schichten besiedelte und dadurch unzugängliche und exklusive Seeufer mit silberner Farbe ausgelegt ist.

Eine ebenfalls nicht notwendige, aber ungemein reizvolle Ergänzung der Bilder stellt ein Video-Film dar, den Bonar zusammen mit Marianne Tralau (KAOS-Galerie) produziert hat. Hier begegnet man bei den Fahrten mit U- und S-Bahn manchen der optischen Signale und Kürzel wieder, die bei einer ersten Betrachtung der Bilder abstrakt erschienen; nun gewinnen sie an Realität. Mit diesen verbalen und optischen Informationen versorgt, erlebt man Bonars Planübermalungen komplex und zugleich vielseitig - ein Berlin-Erlebnis aus zweiter Hand zwar, aber aus einer sehr sensiblen künstlerischen Hand (Ausstellung bis 12.Februar) (...) (Text gekürzt, da sich der zweite Teil des Textes auf eine andere Ausstellung in Köln bezieht -> Spree-Müll im Titel)