Der Flug des Menschen - die Unmöglichkeit des Davonfliegens

Text: Rainer Bonar 1987 - Erschienen im Ausstellungskatalog "Der Traum vom Fliegen"

Fliegend verlassen die Stätte gestrigen Wirkens: zum unerreichbaren Horizont. Im Augenblick des Take-off das Gefühl grenzenloser Freiheit, so als wäre nichts unmöglich in diesem Leben. Die Gravitation: eine berechenbare Größe. Die etwas bange Frage nach dem Rücksturz zur Erde läßt sich zerstreuen durch Statistik, durch das Wissen um Redundanz flugwichtiger Systeme usw. Fliegend verlassen die irdischen Probleme, um mit der Landung gleichsam zu Ihnen zurückzukehren.

Was selten in das Bewusstsein dringt, ist die Tatsache, dass das Leben für uns nur möglich ist auf der Oberfläche der Apfelsine, die da durchs All rast. Diese hauchdünne Schicht ist es, die Biosphäre,  in der und von der wir alle leben.

Der Absturz des Ikarus, verstanden als Gleichnis und der altväterlichen Moral entkleidet (ohne erhobenen pädagogischen Zeigefinger: Hättest du mal auf Vater gehört...), zeigt, was der Absturz des »Herausforderers« ebenso zeigt: die Erfüllung eines evolutionären Prinzips, welches in der konsequenten Beseitigung von Irrtümern besteht. Ein vorgezogenes Ende des sowieso Endlichen. Das Erschrecken und die tiefe Betroffenheit haben ihren Grund in der unvermittelten Plötzlichkeit des Geschehens. Hier ist das Feld für Helden, denen der Salto mortale wirklich gelungen ist, da, wo die Fahne menschlichen Geistes wider die Natur hochgehalten wird. Und die Sensationen von heute sind die gähnende Langeweile von morgen. Hier in Berlin bemächtigte sich ein pervertiertes politisches System mit totalem Machtanspruch auch der Herrschaft über Lufträume. Und was hier so glorios und pathetisch, monomanisch und megalomanisch seinen Ausgang nahm, kam mit der Wucht der fast totalen Zerstörung auf uns zurück. In der Verbindung des Genialen mit dem Gemeinen, in der Eleganz des fliegenden Engels, der ein Todesengel war. Was hier stehenblieb, war wenig genug. In keiner Kunstform sahen sich die Führer des III. Reiches so gut repräsentatiert wie in der Architektur. Die Pläne Speers und entsprechende Modelle geben Auskunft, was da geplant war. Aber selbst die Bauten, die realisiert wurden, lassen eines erkennen: die völlige Abewesenheit der menschlichen Proportion. Die alles überragende, monumentale Wirkung war die einzige Absicht. Die uns überkommenen Gebäude des Flughafen Tempelhofs aus dieser Zeit sind dafür Beispiel. Für jeden Betrachter schweigt dieser Klotz aus jedem Steinkloben sein bleierndes, kaltes Memento.

Inzwischen fliegen Menschen ins All. Und wieder nicht nur zu friedlichen Zwecken. Der Mensch verlässt die Erde, aber wohin? Was will er da? Die Leistungen der Intelligenz sind eben nicht unbedingt Leistungen der Vernunft. Als Erkenntnis bleibt ein Paradoxon: Je höher hinaus, je größer die scheinbaren oder auch wirklichen Erfolge sind, desto kläglicher steht am Ende das Versagen.